Was kann und bewirkt die Selbsthilfe

Reinhard Themann

  Geschichte und Bedeutung
  Voraussetzungen
  Umfeld
  Probleme der Diabetiker
  Wirkungen der Selbsthilfe
  Forderungen
 

Was kann und bewirkt Selbsthilfe

Was kann und bewirkt Selbsthilfe

Geschichte und Bedeutung

Etwas zur Geschichte der Selbsthilfe. Der klassische Selbsthilfegedanke ist in England entwickelt worden. Menschen in Not, am Anfang des letzten Jahrhunderts, haben ihre gemeinsame Situation erkannt und sich zusammen geschlossen. Sie haben sich eine gemeinsame Basis gescharfen. Sie haben versucht, durch gemeinsames Handel, sich eine bessere Ernährungsbasis zu schaffen und und sich gemeinsame Versorgungsstrukturen geschaffen. Sie sind von/bei diesem Vorfall, selbst alle nur Betroffene. Nur damals nannten sich diese Zusammenkünfte noch nicht Selbsthilfegruppen. Der Beginn des Selbsthilfewesens ist im Jahre 1935 zu sehen. Die Anonymen Alkoholiker in den Staaten gründeten eine erste Selbsthilfevereinigung und ließen diese auch als Selbsthilfe eintragen. Fast 20 Jahre später, dann auch hier bei uns in Deutschland war der ernsthafte Gedanke geboren, Selbsthilfegruppen zu gründen und sich zu solidarisieren.

Auch die Fortschritte in der Medizin ließen die persönlich betroffenen Menschen, mit ihren Lebensnöten, nicht aus der Selbsthilfe austreten. Der Fortschritt ist nicht der Tod der Selbsthilfe, vielmehr zeichnet sich ab, der Fortschritt verhilft der eigenen Selbsthilfefähigkeit zu neuen Impulsen. Von besonderer Bedeutung ist es, noch einmal die Überschrift zu vertiefen. Das Wort Selbsthilfe besteht aus zwei Wörtern, aus den Worten „Selbst" und „Hilfe". Die Assoziation beim Wort „Selbst" sagt aus:

Ich selbst habe etwas, ich selbst werde etwas machen, ich selbst erwarte etwas. Also, von mir selbst kommt etwas. Das Wort „Hilfe" assoziiert, helfen. Ich bin Betroffene oder Betroffener, ich selbst will helfen, mir selbst wird geholfen. Also ist Selbsthilfe etwas, wo ich etwas bekomme, aber auch etwas gebe. Wir sind alle davon betroffen. Wir sind unter uns, wir machen das! Es ist also keine reine Schulveranstaltung, es kommt aus der Praxis, aus der Gruppe.

 
Voraus-
setzungen

Folgende Voraussetzungen für ein „Grobgerüst", für die Selbsthilfe müssen erfüllt sein, damit Selbsthilfe überhaupt beginnen, gelingen kann:

  1. Mitwirkung aus eigener Betroffenheit.
  2. Jeder entscheidet für sich selbst.
  3. Keine Unterschiede bei den Mitwirkenden in der Gruppe.
  4. Das verbale Wort und nonverbale Verhalten bleibt in der Gruppe.
  5. Die Gruppe handelt für sich selbst, eigenverantwortlich.


Das „Feingerüst", im „Grobgerüst", wenn man es so sagen will, die Einrichtung in der Selbsthilfe, ist der Grundsatz, das Angebot in der Selbsthilfe: Durch intensive Aussprache über persönliche Probleme oder durch Auseinandersetzungen mit aufkommenden Gefühlen. sich selbst und anderen zu helfen, aber auch sich selbst helfen lassen. Also, in Kurzform: Die kognitiven Fähigkeiten entwickeln.

Das Gerüst ist vorhanden, die Einrichtung ist beschrieben, es fehlt noch der Geist der Sache. Hilfe zur Selbsthilfe. Jede, jeder Betroffene verfügt über therapeutische Fähigkeiten, die Sie oder Er im Alltag ohnehin verwendet und je nach Situation mehr oder weniger gut einsetzt.

 
Umfeld

Bis hierher sind die administrativen Wege geglättet worden. Jetzt kommt die Effektivität ins Spiel. Hier hilft eine Aussage, die im März 1998, von Dr. med. Christian Albus gemacht worden ist: „Eine andauernde Verbesserung der Lebenszufriedenheit und der Stoffwechselkontrolle wird durch eine reine wissensorientierte Schulung oder eine konventionelle Schulung NICHT erreicht!"

Wir, als Diabetiker sind alle Langzeitkranke, wir sind betroffen, sind Patient und Therapeut! Wir sind in einem System gefangen, weil wir krank sind, wir sind Diabetiker, Weil wir in diesem System nicht zwingend alles vorfinden, so wie wir es haben möchten, sind wir also auch in der Selbsthilfe, also hat Selbsthilfe auch etwas mit Intelligenz zu tun.

Das System, das uns umgibt heißt Bio-psycho-soziales Modell und bestimmt unser Leben. Besser ist wahrscheinlich, daß wir mehr oder „besser" in diesem Modell uns eingerichtet haben, in das Modell von Krankheit und Gesundheit. Dieses Modell geht davon aus, daß für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung des Diabetes, noch andere Faktoren beteiligt sind, nämlich: biologische Faktoren, psychische Faktoren und soziale Faktoren. Das Mehr oder „Weniger", zur Befriedigung dieser Faktoren, bringt die Diabetiker in die Selbsthilfe. Das ärztliche Behandlungskonzept berücksichtigt in erster Linie nur die biologischen Faktoren, das sogenannte Krankheitsbild, den Diabetes. Psychische und soziale Probleme bleiben häufig ........

 
Probleme der Diabetiker

Jeder Diabetes ist anders und das jeden Tag; jeden Tag eine neue Balance zu finden, für sich selbst, für die eigenen gesteckten Ziele. Hier kann, wird und sollte die Selbsthilfe auch Problemloser sein, denn die Medizin berücksichtigt nicht zwingend die psychischen und sozialen Probleme. Jeder Diabetiker oder jede Diabetikerin, die in die Selbsthilfe kommt, bringt notgedrungen einen oder mehrere dieser gelisteten Punkte mit:

Bedenken und Ängste, zu versagen, nach Manifestierung des Diabetes, in der gemeinsamen Zweisamkeit. Ängste vor zu erwartenden Folgeschäden durch den Diabetes. Angst zu haben, wie denken andere oder die am Arbeitsplatz über mich!

Mißtrauen und Fragen, kann oder sollte sich ein Diabetiker „outen", welche Vorteile bringt es oder überwiegen die Nachteile. „Habe ich meines Diabetes begriffen, stelle ich die richtigen Fragen oder sollte ich lieber schweigen!" „Darf ich, kann ich soetwas überhaupt fragen!" „Was denkt dann der andere von mir!"

Gefühle und Unsicherheiten,
erzeugt durch die ersten hohen Blutzuckerwerte, die nach der Entlassung aus dem Krankenhaus aufgetreten sind. Unsicherheiten bei der richtigen BE-Einschätzung. Unsicherheit bei den häuslichen Einkäufen und Unsicherheit in der Nahrungsauswahl im Restaurant.

Konflikte und Hoffnungen, Konflikte im nächsten Umfeld oder mit Angehörigen, den Diabetes sehr häufig in den Vordergrund aller Bemühungen zu stellen. Hoffnung zu haben, keine Probleme am Arbeitsplatz auftreten zu lassen.

Schuldzuweisung, warum ist mir dieses passiert, Diabetiker zu werden? Warum habe ich mich überernährt, warum mußte es überhaupt soweit kommen!

Schuldeingeständnis, nicht die nötige Sorgfaltspflicht aufgebracht zu haben, um Folgeprobleme zu minimieren, zu verhindern.

Selbstentdeckung,
daß das Erlernte in der Diabetesschulung nicht den gewünschten Erfolg verspricht. Defizite bei der Wahrnehmung. der Diabetiker-Schulung werden plötzlich sehr bewußt.

Resignation,
es nicht wahr haben wollen, den Diabetes nicht annehmen, Frustration gegenüber seinem oder ihrem Diabetes.

Leidensdruck,
auf Seiten des Mannes, bei erektiler Dysfunktion oder auf der Seite der Frau, bei Frigidität, sich dem Partner zu öffnen oder sich eingestehen zu müssen.

Verzweiflung,
sich in Suizidgefahr begeben.

Ein antrainiertes, falsches oder richtiges Rollenverhalten,
wie das antrainiertes Schulungsverhalten, den besten HBA1c haben zu wollen, wie z.B. 4,2 oder 4,7.

Hier wird in der Gruppe angesetzt, therapeutisch etwas zu bewirken.

Selbsthilfegruppen tragen maßgeblich dazu bei, daß die dort zusammenkommenden Betroffenen ihre soziale Problemlage, ihren Diabetes oder auch die schon erlittene Behinderung besser akzeptieren und damit besser leben lernen.

 
Wirkungen der Selbsthilfe

Jede oder jeder Diabetiker erhält in der Selbsthilfe die persönliche Selbstentdeckung, sich richtig behandelt zu haben, sich richtig ernährt zu haben, sich richtig mit den nötigen Insulineinheiten gespritzt zu haben! Von den anderen gelernt zu haben, sich mitteilen zu wollen und zu können.

Einsichtsfähigkeit, die Anordnungen des Mediziners zu hinterfragen oder auch eventuell anzuzweifeln, um den besten Therapieerfolg für sich zu bekommen.

Problemzusammenhänge erkennen beim Diabetes. Kausal gibt es die größte Häufigkeit an „Mit-Erkrankungen unterschiedlicher Körperteile. Therapien in der Behandlung des Diabetes besser abschätzen zu können.

Erfahrungsaustausch, sich einfach nur aussprechen können, seine eigene Disposition zur Begutachtung vorstellen zu können, sich eine eigene Meinung bilden zu wollen, soziale Kontakte neu knüpfen.

Angstabbau, durch Erfahrungsaustausch bei gleichen oder in ahnlichen Situationen.

Solidarisierungsgefühl, sich nicht alleine fühlen, Mitstreiter gefunden zu haben, mit gleichem Schicksal.

Hoffnung,
zu sehen, daß es andere auch schaffen, mit dem Diabetes leben zu können und trotz alledem, auch Lebensqualität haben.

Lösungen und Hilfe bei der Tabuablegung, sich öffentlich zu bekennen, Diabetiker zu sein. Vorurteile begreifen zu lernen. Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit, über das Handikap Diabetes.

 
Vorteile UND...
Was hat/bekommt
der Arzt davon, Selbsthilfe zu unterstützen:

Erstens: In einer Zeit zunehmender Rotstift-Politik können die SHG'en eine Interessenvertretung sein und zur Meinungsbitdung beitragen.

Zweitens: Diabetiker, in ihrer sozialen Problemlage, ihren Diabetes oder die Folgebehinderung besser akzeptieren und besser damit leben lernen.

Drittens: Aktive und motivierte Betreuung besser anzunehmen.

Viertens:
Kompetente ärztliche Betreuung besser ausführen können. Eine erfolgreiche Diabetesbehandlung hängt entscheidend davon ab, wie der Patient in die Therapie mit eingebunden werden kann. Versteht „Er" oder „Sie" die Problematik und kooperiert, ergibt sich der bessere Behandlungserfolg.

Fünftens: Der generell bessere Patient, für den Arzt. Die Eigenverantwortung der Patienten muß gestärkt werden, indem die Patienten über den aktuellen Stand des medizinischen und medikamentösen Wissens informiert sind.

Sechstens: Der mündige Patient für den Arzt. Die Betroffenen mit ihrer Betroffenheit kennen sich zwingend besser aus mit den therapeutischen und diagnostischen Möglichkeiten.
 
Forderungen Was kann der Arzt für die Selbsthilfe geben/tun?

Selbsthilfe muß in Deutschland gesellschaftsfähiger werden. Wir fordern eine Unterstützung durch die Ärzte, Diabetiker auf die bestehenden Selbsthilfegruppen hinzuweisen.
 
  UND...

Von unseren Gesundheitspartnern, den Krankenkassen, fordern wir mehr Unterstützung und Hilfe.
 
     
  © Reinhard Themann   
Reinhard Theman ist am 12. Oktober 2004 nach kurzer Krankheit verstorben. Er ist in seiner Heimatstadt Lohne/ Oldb. beerdigt worden.
Dank der Erlaubnis seine Ehefrau Christa Themann kann der Artikel hier weiter angeboten werden.
   




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© copyright Wolfgang Sander  Webmaster@Diabetiker-Hannover.de   letzte Änderung: 20.03.2008